1 Temmuz 2009 Çarşamba

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Pina Bausch ist tot
Der einzige deutsche Weltstar in den darstellenden Künsten

Pina Bausch war die wichtigste Choreografin des neuen Tanzes, der einzige deutsche Weltstar in den darstellenden Künsten. Die Leiterin des Wuppertaler Tanztheaters ist am Dienstag Morgen überraschend gestorben. Erst vergangene Woche war bei ihr Krebs diagnostiziert worden. Sie wurde 68 Jahre alt.

Schmal und mit tiefen Augenringen hat sich Pina Bausch nach dem triumphalen Erfolg ihres jüngsten Stücks vor nicht einmal drei Wochen dem Publikum präsentiert. Aber schlecht ausgesehen hat die Wuppertaler Choreografin schließlich schon eine ganze Weile. So kommt die Nachricht von ihrem Tod denn doch überraschend und wie ein Schock: die wichtigste Choreografin des neuen Tanzes, eine der kostbarsten Ikonen der Kunstwelt, der einzige deutsche Weltstar auf dem Gebiet der darstellenden Künste ist nur 68 Jahre alt geworden. Ensemble im neuen Stück von Pina Bausch.

Kaum vorstellbar, dass sie gestern Abend, in der vorerst letzten Vorstellung ihres neuen, immer noch titellosen Stücks, nicht mehr auf ihrem Platz in der letzten Reihe des Elberfelder Opernhauses sitzen konnte, dass sie an den künftigen, noch auf Jahre hinaus vereinbarten Tourneen ihres Tanztheaters nicht mehr wird teilnehmen können. Fast möchte man meinen, dass die Tänzer in aller Welt – und nicht nur die „modernen“ – in eine Schockstarre versinken müssten. Jahrzehntelang waren ihre Vorstellungen, wo immer in der Welt sie und ihre Tänzer gastierten, im Handumdrehen ausverkauft und Karten kaum zu bekommen. Dass Pina Bauschs ästhetischer Einfluss in der internationalen Welt des Tanzes größer war als der irgendeiner anderen Persönlichkeit, bezeugen ungezählte Tanzstücke zwischen Adelaide und Rio, Toronto und Tokio.

Selbst dorthin, wo sie nie gastiert hat, ist sie über heimlich mitgeschnittene und unter der Hand weitergereichte Videos vorgedrungen. Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts hat Pina Bausch die Welt des Tanzes verändert wie kaum ein Choreograf vor ihr; das bringt ihr einen Spitzenplatz ein in der obersten Etage des Pantheons der Tanzgeschichte. An der Wiege war ihr das nicht gesungen worden. Gäste in der Kneipe ihrer Eltern in Solingen bemerkten, dass sich die kleine Josephine – am 27. Juli 1940 geboren – wie ein Schlangenmensch bewegte. So gaben ihre Eltern sie in eine Kinderballettschule. Sie spielte kleine Rollen am Theater; mit 15 wurde sie von der Tanzabteilung der Folkwang-Hochschule in Essen aufgenommen, wo sie bald als die talentierteste Studentin galt, die das Folkwang je gehabt hatte.

Mit einem Stipendium ging sie nach New York, wo sie zwei Jahre blieb und in sich aufsaugte, was es dort an Neuem zu sehen gab. Zurück in Deutschland nahm sie einen Lehrauftrag an ihrer alten Hochschule an. Sie tanzte im neu gegründeten Folkwang-Ballett von Kurt Jooss, und als es ihr dort zu langweilig wurde, begann sie selbst zu Choreografieren.

Arno Wüstenhöfer lud sie nach Wuppertal ein und bot ihr, nach zwei Probe-Arbeiten, 1973 die Leitung seines Balletts an: ein Datum, das nicht nur die deutsche Tanzszene veränderte. Wenn ihr zu diesem Zeitpunkt jemand gesagt hätte, dass sie noch 35 Jahre später am selben Haus arbeiten würde, hätte sie ihn wohl ausgelacht. Sie plante nie auf Jahre hinaus, sondern tat immer nur, was im Augenblick nötig war. Gleichwohl verlief ihre Entwicklung überraschend gradlinig. Nach wenig mehr als einem Jahrzehnt hatte sie nicht etwa nur alle Grenzen des zeitgenössischen Tanzes überschritten. Sie hatte alle Grenzzäune nieder gerissen und den Begriff des Tanzes neu definiert.

Schon am Ende der siebziger Jahre stand der Name Pina Bausch für ein Theater der befreiten Körper und des befreiten Geistes, für ein Tanztheater der Humanität, das auf der Suche war nach Liebe, Zärtlichkeit und Vertrauen zwischen den Partnern – und nach einer tänzerischen Sprache, die in der Lage sein würde, jene Kommunikation zwischen den Menschen zu ermöglichen, zu denen die bekannten Sprachen nicht mehr fähig waren. Ironischer Weise wird sie ihren Bewegungen und theatralischen Bildern dazu später Worte und gesungene Texte hinzufügen müssen, auch das eine Ausweitung ihrer Choreografischen Möglichkeiten.

Bauschs Start in Wuppertal war glanzvoll, hatte aber noch nichts Revolutionäres. Sie Choreografierte einige kurze Stücke, unter ihnen ihre grandiose Interpretation von Strawinskys „Sacre du printemps“ (den man mittlerweile auch an der Pariser Oper sehen kann) sowie die beiden Gluck-Opern „Iphigenie auf Tauris“ und „Orpheus und Eurydike“: wundervolle Stücke in traditioneller Modern-Dance-Manier.

Doch noch war der Vertrag mit der Tradition noch nicht aufgekündigt. Dieser Schritt erfolgte, im Sommer 1976, mit der Brecht-Weill-Choreografie „Die sieben Todsünden“, einer brillanten Revue, die nichts weniger als die Verbesserung der Männerwelt versuchte. Hinter den Sollbruchstellen einer durch und durch kaputten Show funkelte das pure Gold einer faszinierender Einfälle.

Verwegen ausbalanciert zwischen Tanz, Theater und Showgeschäft, genial im Lot gehalten zwischen Lachen und Weinen, bediente die Choreografin das Show- und Amüsierbedürfnis eines enthusiasmierten Publikums, ohne darüber auch nur eine Handbreit ihres Engagements aufzugeben.

Das Stück wird zum Modell von Bauschs künftigem Schaffen. Praktisch alle Stücke der Choreografin behandeln nun Kernfragen der menschlichen Existenz und zwingen das Publikum unerbittlich, sie diesen Fragen zu stellen; erst das altermilde gewordene Spätwerk weicht diese unerbittliche Härte ein wenig auf.

Dabei ist die Angst – vor dem eigenen Versagen, vor den unkalkulierbaren Aktionen des menschlichen Gegenübers – ein wesentlicher Antrieb. Doch noch stärker als die Angst ist der Wunsch, geliebt zu werden. Aus dem Widerstreit dieser beiden Empfindungen entstehen in Pina Bausch Stücken die Konflikte, entsteht aber auch die Komik (welche die Choreografin lange vor ihren Kritikern feststellte).

Am Ende der Siebzigerjahre hatte sich auch Bauschs Methode, ein Stück in Anmgriff zu nehmen, völlig verändert. Die Schritte, die Bewegungen, waren nie das Wichtigste gewesen. Nachdem sie 1978 in Bochum mit Tänzern, Schauspielern und einer Sängerin an einer Tanzversion von Shakespeares "Macbeth" gearbeitet hatte, begann sie die Arbeit an jedem neuen Stück mit Fragen. Die Fragen, hunderte von Fragen, provozierten die Tänzer zu Antworten: verbalen und körperlichen. Aus ihnen entwickelten sich theatralische und tänzerische Szenen, die die Choreografin dann zu einem größeren ganzen verknüpfte. "Meine Stücke", so Pina Bausch in einem Interview, "entwickeln sich nicht vom Anfang aufs Ende hin, sondern von innen nach außen“.

Ab Mitte der Achtzigerjahre weiteten sich Bauschs Themen, mehr und mehr auch Themen des Umweltschutzes darunter, aus. Zusammen mit ihren Tänzern suchte sie neue Eindrücke in der Ferne: in Rom und Madrid, Amerika, Japan und Indien, Brasilien und, zuletzt, Chile. Wer weiß, wohin die Neugier Pina Bausch noch geführt hätte?

So werden wir, ihre Fans uns mit dem begnügen müssen, was sie in mehr als vierzig Jahren geschaffen hat. Denn natürlich hoffen wir, dass das Tanztheater Wuppertal seine Schöpferin und Leiterin lange überlebt. Einfach wird das nicht werden. Das Tanztheater Wuppertal ohne Pina Bausch: beinahe undenkbar.


Jochen Schmidt
Wuppertal, 01.07.2009

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